Anarchistischer Spiele-Kreis
- Disruptive Spiele -
Das Private ist politisch - und die anarchistische Revolution hat viele Fäden
Anarchismus, eine alternative Gesellschaft wird nicht allein dadurch realisierbar, dass institutionelle Machtverhältnisse unterminiert werden, wir brauchen für eine alternative Gesellschaft viel tiefgreifendere Wandlungsprozesse. Subjekt und Gesellschaft bedingen einander und konstituieren sich wechselseitig. Revolutionen werden nicht in einem Augenblick durchgesetzt, sondern sind Ergebnisse Jahrhunderte dauernder Auseinandersetzungen. Revolutionen brauchen Geduld und Ausdauer.
Die bürgerliche Revolution hat nicht nur eine neue Regierungsform geschaffen, sondern ein neues Subjekt und darüber hinaus viele andere grundlegende Veränderungen unseres Verhältnisses zu uns selbst, zur Natur und zur Gesellschaft bewirkt, die vielen heute unkritisch so selbstverständlich erscheinen, als wären sie Natur gegeben und schon 'immer' so gewesen. Z.B.:
- Die Erfindung des Nationalstaates. Ein zentrales Werkzeug zur Durchsetzung war dabei die Erfindung der Geschichtwissenschaften, denen wesentlich die Konstruktion der Nation als übergeschichtlicher Realität oblag.
- Die Erfindung der 'romantischen Liebe' und damit einer völligen Neuordnung der Familienbeziehungen (Statt Zweckehe und Zwangsheirat). Hier liegt z.B. ein Teil des bürgerlich revolutionären Potentials der Werke von William Shakespeare.
- Die Erfindung des Subjekts, des 'Ich', in seiner heutigen Bedeutung. Deutlich z.B. im Werk Albrecht Dürers und der Selbstabbildung in der Position Jesus.
- Die Erfindung der Kindheit (Siehe - Philippe Ariés - 'Geschichte der Kindheit')
- Die Erfindung unseres heutigen Konzeptes von Mutterliebe (Siehe - Elisabeth Badinter - 'Die Mutterliebe, Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute')
- Die Neukonzeption der Geschlechterverhältnisse und die Erfindung eines biologischen Körperselbstbildes (Siehe - Barbara Duden - 'Geschichte unter der Haut' / Thomas Laqueur - 'Auf den Leib geschrieben' / Claudias Honegger - 'Die Ordnung der Geschlechter')
- Die Neukonzeption des Mensch/Natur-Verhältnisses mit der Durchsetzung des naturwissenschaftlichen Weltbildes und dem technisch/industriellem Zugriff auf Natur.
- Die Erfindung einer neuen Ästhetik in bildender Kunst und Musik orientiert an mathematischen Idealkonstrukten.
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All dies und vieles mehr im Zusammenwirken hat zum Erfolg der bürgerlichen Revolution geführt.
Zur Durchsetzung des Anarchismus wird es vergleichbar radikaler Wandlungsprozesse bzgl. Subjekt, Gesellschaft und Naturverhältnis bedürfen. Die anarchistische Theorie und Praxis braucht sowohl eine kritische Gesellschafts- als auch eine kritische Subjekttheorie. Das Private ist politisch muss in einem radikalen Sinn begriffen werden. In diesem Sinn betrifft die anarchistische Theorie und Praxis alle Bereiche des Lebens in radikaler Weise.
Wir brauchen nicht nur eine Außerkraftsetzung der bestehenden Besitzverhältnisse, nicht nur anarchistische Geschlechtsauflösungen, nicht nur Alternativstrukturen zu Staat und Nation auf der Basis der freien Vereinbarung und gegenseitigen Hilfe, wir brauchen anarchistische Theorien und Praxen in allen Bereichen, Theorien und Praxen die versuchen andere Formen von Subjektivität und Gesellschaft zu denken und zu leben, bzw. die bestehenden Formen umzuwandeln. Die Revolution beginnt damit.
Disruptive Spiele
Das Spiel, das jugendliche und kindliche Spielen, die spielerische Auseinandersetzung und Sozialisation, ist eins der in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelten Werkzeuge zur herrschaftsaffirmativen Normierung von Kindern und Jugendlichen, damit aus ihnen funktionierende BürgerInnen werden. Das Kind wird dabei durch Androhung des Ausschlusses - aus der Peergroup - zur Anpassung gezwungen. Die gewaltsame Vermittlung der Normen wird von einer Gesellschaft, die selbst ihre Hände in Unschuld wäscht, in die Peergroup der gleichaltrigen und nur wenig älteren Kinder und Jugendlichen ausgelagert.
Klassisch für dieses Verhältnis sind Aussagen Erwachsener wie: 'Dabei sein ist alles' - 'Das ist doch nur ein Spiel'. Aussagen die den herrschaftsaffirmativen, auf Gewinn, Konkurrenz und Hierarchiesierung ausgelegten, Charakter, der fast allen Spielen zu Grunde liegt, sprachtaktisch(1) verleugnen und dabei gleichzeitig die Drohung des Ausschlusses - aus der Peergroup - gegenüber abweichenden Kindern noch verstärken.
Notwendig ist die bewußte Entwicklung disruptiver Spiele, anarchistischer Spiele, die die Normen der Gesellschaft bewußt konterkarieren und es ermöglichen anarchistische Formen des Miteinander auszuprobieren. Spiele, die nicht nur Kindern sondern auch Erwachsenen ermöglichen Anarchie zumindest im Spiel auszuprobieren.
Was unterscheidet bürgerliche und anarchistische Spiele?
Anarchistische Spiele sind eine spielerische anarchistische Form der Unterwanderung der Gesellschaft. Spiele, die die Konstrukte von Nation, Geschlecht, Sexismus, Rassismus, Herrschaft, Konkurrenz und Leistungsideologie subversiv dekonstruieren und außer Kraft setzen, und sich der Gewalt dieser Konstrukte entgegenstellen. Dabei sind sie nicht pädagogisch, moralin sauer, besserwisserisch, belehrend, sondern anarchisch, lustig-traurig stellen sie die Konstrukte der bürgerlichen Subjektivität, ihre Hierarchiegläubigkeit, ihren Normierungswahn und die ihr zu Grunde liegenden Gewaltverhältnisse zur Schau.
Eine anarchistische Revolution kann nur als gewaltfreie erfolgreich sein, will sie nicht, in der und durch die Gewalt, die Hierarchien nur in neuer Besetzung reproduzieren. Eine anarchistische Revolution kann nur eine sein, die sich klar gegen die martialischen Aufstandslyriken nur zum Schein antiautoritärer Jungmännerhelden positioniert, Jungmännerhelden, die nur die Hierarchieposition der väterlichen Autorität für sich selbst übernehmen wollen.
Anarchistische Spiele lassen Widerspruch und Alternativen Raum, beharren nicht verbissen auf Richtigkeit, bestehen nicht moralin sauer auf der einen richtigen Spielart, lassen Unterschiede zu auch in der Spielweise. Sie sind Freiräume und keine Trainingseinheiten der gesellschaftlichen Normierung, sie setzen den Kontrollwahn außer Kraft. Dies ist zumindest mein Traum.
In der Tabelle findet Ihr dies immer noch unvollständig und doch etwas ausführlicher dargestellt.
Anarchistische Spiele
Bürgerliche Spiele
Freie Vereinbarung als Grundlage des Spiels / Ausgangspunkt Diskussion und Einigung über Regeln und Freiräume
Festgelegte Regeln / Einübung in das Regelbefolgen
Zusammenwirken als Basis des Spiels / Austesten von Formen der gegenseitigen Hilfe bei Akzeptanz der individuell unterschiedlich selbst definierten Ziele als Form solidarischen zielgerichteten Handelns
Konkurrenz als Basis des Spiels / Einübung in Leistungswahn und Hierarchien / Alle verfolgen zwanghaft das selbe von Außen festgelegte Ziel und konkurrieren sich dabei nieder
Konstruktiv / Ziel ist der maximale Spaß für Alle
Destruktiv / Ziel ist die Ausschaltung und Demütigung der Anderen
Anarchisch lustig / Witzigkeit basiert auf absurden Drehungen der Realität die 'den Kaiser bzw. Bürger nackt dastehen lassen' oder auf der Konterkarrierung von Machtverhältnissen (Filmbeispiele für diese Art Humor: Filme wie die 'Kleinen Strolche' oder 'Zéro de Conduite')
Witze basieren fast immer auf Abwertung Anderer / Witze auf Kosten von der Norm abweichender Menschen - Instrument zur Herstellung bzw. Restauration von Hierarchien oder zur Durchsetzung von Normierungsdiskursen durch die Demütigung von Menschen auf Grund von Normabweichungen, bei gleichzeitiger Leugnung der Gewalt ('Das war doch nur Spaß')
Disruptive Unterminierung der Rollenmuster der bürgerlichen Gesellschaft, spielerische Erfahrung eines selbstbestimmten Lebens außerhalb der Ordnungs- und Sortierungsmuster der gesellschaftlichen Normen
Einübung in bürgerliche Gewaltverhältnisse und Normen durch ihre Duplizierung im Spiel und entsprechende Rollenfestlegungen, z.B. Geschlechterverhältnisse, Rassistische Stereotype, Familiendispositiv, Normen bzgl. Aussehen und Verhaltensnormen
Freiraum um unterschiedliche Möglichkeiten von sich selbst, Phantasien und Träume auszuprobieren
Anpassungs- und Unterordnungstraining an äußere Erwartungshaltungen
Alternativ, anarchisch, offen, freie Entscheidbarkeit was richtig oder falsch ist, keine automatische in das Spiel eingebaute Sanktionierung abweichenden Verhaltens
Moralisch autoritär pädagogisch und - oder reaktionäre Legitimation von Gewalt (Survival of the fittest)
Unterminierung von Disziplinarsystemen durch Infragestellung der gesellschaftlichen Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse
Scheinbar antiautoritär durch Rollenspielmuster, die den Aufstand gegen Autoritäten durch Übernahme der gewaltsam autoritären Prinzipien und Verhaltensweisen ermöglichen, dadurch jedoch das hierarchische System reproduzieren und stärken. Statt Subversion des Herrschaftssystems findet nur eine personelle Neubesetzung der Herrschaftsclique statt
Kein Zwang zur Teilnahme
Zwang durch implizite Drohung des Ausschlusses aus der Gruppe
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Texte
Die Texte - als PDF-Datei - zum Download.
Kontakt unter - 3.Jahrtausend@posteo.de -. Bitte "Anarchistische Spiele" in Betreff schreiben, da E-Mails sonst als Spam aussortiert werden.
Fussnote 1 - Vergleichbar RassistInnen, die betonen, dass ihre rassistischen Äußerungen mit Rassismus nun wirklich nichts zu tun hätten.
22.12.2018
Disruptive Spiele - Anarchistischer Spielekreis. Stichworte: Disruptive Spiele, Spiele, Gesellschaftsspiel, Anarchie, Gruppen, Anarchismus, Kooperation, Konkurrenzkritik, anarchistische Initiative, AnarchistInnen, Anarchisten
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