Diskursterrorismus



Im Mythos des Kindes spiegeln sich nicht nur Unschuld und Niedlichkeit sondern auch Zustände der Amoralität und Asozialität, eines anarchischen Terrorismus. Kinder haben die impliziten sozialen und moralischen Verregelungen der Gesellschaft mit ihrer gesamten repressiven Funktion meist noch nicht soweit verinnerlicht wie Erwachsene. Da wir die Subjektentwicklung für nie abgeschlossen halten, halten wir diesen frühkindlichen Terrorismus für reaktivierbar, die Außerkraftsetzung von Normen und Regeln. Dabei gehen wir davon aus, daß Erwachsene auf der Grundlage ihrer Erfahrung und ihres Selbstbegreifens gleichzeitig in der Lage sind dies innerhalb eines bewußten politischen und individuellen Handlungsrahmens zu tun.
Die unsortierte politische Praxis, unsere politische Praxis, richtet sich darauf diese Handlungsmöglichkeiten freizusetzen, und allgemeingültige gesellschaftliche Spielregeln schon auf der Ebene der Subjekte zu unterminieren. Dies bedeutet auch die Freiräume des Fühl- und Denkbaren auszuweiten.
Ausgangspunkte für uns sind;
- Möglichkeiten nicht in die Norm eingebundene Liebespraxen, außerhalb des sexuellen Warentausches und der Vater-Mutter-Kind-Triade, als Kraft der politischen Subversion einzusetzen.
- Das Lachen, die absurde Rede und der absurde Blick, ZerrSpiegelungen des Verhaltens Anderer und Möglichkeiten von Politiken wider die Macht und gegen das selbstidentische Subjekt in der Tradition der karnevaleken Entbindung (siehe Bachtin und Kristeva).
- Praxen einer auch auf sich selbst gerichteten 'kritischen' Rationalität und ihr Spiel mit der Realität, ihre Selbstunterminierung und ihre Außerkraftsetzung von Alltagswahrheiten (z.B. es gibt nur zwei Geschlechter) und Sachzwanglogiken (z.B. ohne Arbeit geht es nicht).
- Die Ablehnung von politischer Gewalt. Da Gewalt eines der Fundamente jeder Gesetzlichkeit ist (sie z.B. dazu Texte von Derrida oder Benjamin), ist die Ablehnung von Gewalt (Polizei, Miltär, Juristerei, Alltäglicher Ausgrenzungspraxen, ..) die radikalste und in diesem Sinn terroristischte Praxis die politisch denkbar ist. Das Credo "Ohne Gewalt geht es nicht" ist soweit hegemonial, daß es sogar in weiten Teilen der Linken dominant ist.

Dabei gilt längst auch für die Macht, daß sie heute wesentlich auf ihrer Anerkennung basiert. Es ist zumindest innerhalb Europas nicht die aktuelle Gewalt, nicht Polizei oder Militär oder konkrete materielle oder gar intellektuelle Überlegenheit auf der die Macht fußt. Macht äußert sich vielmehr und reproduziert sich darin, daß in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung nur bestimmte Sichtweisen als Realität zugelassen werden, während andere als Unsinn, Irrsinn, Spinnerei, oder veraltet, dogmatisch abgewertet werden. So daß feministische und andere Alternativen oft gar nicht erst in den Bereich des ernsthaft Erwägbaren aufgenommen werden, z.B. mit der Begründung die geschlechtliche Realität, sei diese biologisch-genetisch oder psychologisch begründet, sei nun mal eine Andere, und dies sei nicht hintergehbar. Dabei ist die Gewalt primär für den Gründungsmythos wichtig, d.h. durch den Gewaltakt wird die Anerkenung erzeugt, werden Institutionen geschaffen, die dadurch Autorität erhalten, die Reproduktion und Aufrechterhaltung dieser Autorität ist aber keine Frage von Gewalt. Für AnarchistInnen, für Menschen, die Macht ablehnen, und als solche verstehen wir uns kann insofern Gewalt kein Mittel sein, wollen sie nicht neue Autoritäten schaffen, gleichzeitig reicht aber der Kampf gegen Gewalt nicht aus.
Was als Realität Anerkennung findet, wird in ganz spezifischen Diskursen festgelegt, wesentlich sind hierbei die Medien, die Wissenschaften, die Familie und die großen gesellschaftlichen Organisationen wie die Kirchen, Gewerkschaften, usw., zum Teil ergänzt durch neuere Organisationen wie Umweltverbände. Die Kontrolle über diese Diskursformationen der Machtzuweisung ist dabei der wesentliche Schlüssel zur Ausweitung und Reproduktion der eigenen Macht und Einflußnahme. Für Menschen die linksradikale, feministische u.a. Positionen durchsetzen wollen scheinen zwei Möglichkeiten zu bestehen, entweder, selbst Einfluß auf die Diskurse der Machtzuweisung zu gewinnen - ein Beispiel für einen solchen Versuch ist die feministische Wissenschaft - oder, Diskursterrorismus,die Zerstörung der Basis der Machtzuweisung, das heißt die Zuweisungsmacht der Medien, der Wissenschaften, der Familie und der großen gesellschaftlichen Organisationen zu zerstören.
Ausgehend von der zweiten Praxis suchen wir auf zwei Fragen praktische Antworten; Erstens, wie kann eine solche Praxis der Unterminierung der Zuweisungsmacht aussehen, und zweitens, wie kann damit in Verbindung eine Praxis der Selbstermächtigung in Gang gesetzt werden, die langfristig übergeordnete Zuweisungsmacht im Allgemeinen so absurd und veraltet werden läßt wie ein Papstbulle.
Wir gehen davon aus, daß dies nur im Rahmen einer Art nichtidentitärer Politik verwirklichbar ist, einer politischen Praxis die auf der einzigen gemeinsamen Anschauung basiert, daß jede bzw. jeder ein Recht auf ihre bzw. seine eigene Realität und Wirklichkeitszuweisung und ein entsprechendes Leben hat, daß es keine übergeordnete Wahrheit gibt.
Dies setzt aber Menschen und eine Lebenspraxis voraus, die sich nicht über den Bezug auf übergeordnete Wahrheiten definieren. Ansätze sehen wir hierfür in den Theorien von Deleuze und Guatari, aber auch in unterschiedlichen anarchistischen und feministischen Praxen, die wir unter dem Begriff der Unsortierten zusammengefaßt haben.

Die kinder des terrorismus haben geglückte diskursterroristische Ansätze gesucht, um sie weiterzutragen. Das Projekt ist aber, wie viele andere, irgendwann mehr oder minder entschlafen - eine Wiederbelebung ist aber denkbar. Evtl. starten wir einen Versuch auf einem der nächsten größreen anarchistischen Treffen (Winterthur) - oder auch nicht. Bei Interesse meldet Euch!

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Zuletzt aktualisiert 30.04.2016

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